Hoffnung für Schüler*innen mit ASS?

Anders als ihre Mitschüler*innen mit körperlicher Behinderung und hoher Pflegestufe haben Betroffene mit ASS kein gesetzlich festgeschriebenes Recht auf eine Assistenz für den Besuch einer Bundesschule. Viele Schullaufbahnen enden somit oft unnötigerweise nach den Pflichtschuljahren. Das ist nicht nur ungenutztes Potenzial, sondern auch Diskriminierung beim Bildungszugang, stellte das Handelsgericht Wien kürzlich auf Klage der Organisation Klagsverband fest. Wir haben mit Mag.aTheresa Hammer, Leiterin der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbandes gesprochen.

Frau Hammer, herzlichen Glückwunsch zum Erfolg! Wie kam es dazu?

„Unser Dachverband besteht mittlerweile aus 60 Organisationen. Viele davon berichten aus ihren Beratungen von Problemen im Zusammenhang mit fehlender Assistenz in Bundesschulen für Menschen mit ASS. Während einzelne Bundesländer wie Tirol oder OÖ für Volks- und Neue Mittelschule Unterstützung vorsehen, gibt es diese Möglichkeit für die Bundesschulen, also zum Beispiel Gymnasien, nicht. Damit wird den Kindern dieser Ausbildungsweg verbaut. Ein Missstand, den wir beseitigen wollten…“

… sodass Sie Klage eingereicht haben?

„Nicht gleich. Das Problem ist dem Bildungsministerium schon jahrelang bekannt. Zudem fanden zunächst Schlichtungsversuche statt, wie es das Behindertengleichstellungsgesetz vorschreibt.  In den beiden längeren Schlichtungsterminen in den Jahren 2020/21 beharrte das Ministerium jedoch auf dem Standpunkt, dass keinerlei Diskriminierung vorläge. Daher wandten wir uns mit einer Verbandsklage an das zuständige Handelsgericht Wien.“

Wie reagierte das Bildungsministerium?

„Nach der Klageeinreichung kam zunächst ein Verbesserungsangebot. Es ging um die persönliche Assistenz bei mehrtägigen Veranstaltungen, um den Betroffenen die Teilnahme zu ermöglichen. Aber auch hierfür waren die aus unserer Sicht diskriminierenden Kriterien als Voraussetzung vorgesehen: das Vorliegen einer körperlichen Behinderung und eine höhere Pflegegeldstufe. Dieses Angebot ignorierte daher unter anderem erneut, dass die Pflegegeldkriterien kein tauglicher Maßstab für Betroffene mit ASS sind.“

Und wie verlief dann die Gerichtsverhandlung?

„Auch in der vorbereitenden Tagsatzsatzung, also dem ersten Termin, zeigte das Bundesministerium keinerlei Einsicht, sodass das Verfahren in der Sache eröffnet wurde. In diesem wurden zahlreiche Beweise gesichtet, wo es auch um konkret Betroffene ging. Auch Fachpersonen von Familienberatungseinrichtungen schilderten Fälle, um die bestehenden Lücken aufzuzeigen. Diese betreffen auch das mittlerweile österreichweit eingeführte Projekt der Schulassistenz (Anm.: das von der Autistenhilfe in Wien als Pilot gestartet und dann ausgeschrieben wurde). Hier stellte das Gericht fest, dass die derzeitige Leistung von bis zu acht Wochenstunden nicht ausreicht.“

Sie bekamen also Recht – und dann meldete sich das Bildungsministerium?

„Ja, das Gericht folgte unserer Argumentation in allen Punkten. Aber davon, dass der Bildungsminister das Urteil akzeptiert und keine Berufung einlegen werde, erfuhren auch wir nur über die Medien. Persönlichen Kontakt gab es seither keinen.“

Welche Folgen hat dieses Urteil jetzt für betroffene Schüler*innen?

„Das Urteil bedeutet, dass es jetzt eine diskriminierungsfreie Regelung braucht, um die festgestellte Diskriminierung zu beseitigen. Da werden wir sehr wachsam bleiben, zumal die Reaktion des Ministeriums weiter Zweifel und Skepsis erkennen ließ. Obwohl das Gericht klar feststellte, dass die fehlende Unterstützung gesetzwidrig ist. Das zeigt, dass für die breite gesellschaftliche Anerkennung von Vielfalt und Diversität sowie die Herstellung echter Teilhabemöglichkeiten noch viel zu tun bleibt. Praktisch freuen sich viele Betroffene über den gerichtlichen Erfolg, stehen aber nach wie vor der Situation, dass die nötige Unterstützung noch fehlt. Hier helfen unsere Mitgliedsorganisationen gerne beratend weiter – eine Liste gibt es auf unserer Website klagsverband.at.“

(Das Interview führte Mag. David Ortner)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.